Die Reichsheimstättensiedlung

Die in den Hallen ‚Deutscher Lebensraum‘ theoretisch aufgezeigten Methoden der Siedlungswirtschaft sollten in zwei Mustersiedlungen ihre praktische Umsetzung finden und eine Antwort auf die Frage nach der Art und Weise der zukünftigen Lebensformen geben. In den Häusern sollte der Besucher das ’neue‘, nationalsozialistische Ideal des Wohnens und Siedelns antreffen, um sich ein Bild vom neuen Deutschland machen zu können. 1 Die beiden präsentierten Siedlungen waren von Grund auf verschieden. Die kleinere von beiden, die Wilhelm-Gustloff-Siedlung, war eine vom Reichsheimstättenamt geplante und errichtete Arbeitersiedlung, die Schlagetersiedlung hingegen bot Wohnraum für weitaus höhere Ansprüche. Die Trennung der Wohnformen und damit der sozialen Schichten stand im Widerspruch zu der von den Nazis immer wieder propagierten Volksgemeinschaft. Als „erstes Ziel“ der damaligen Politik beschrieb der Düsseldorfer Stadtbaurat Riemann die „Unterbringung aller Volksgenossen in verkehrlich und gesundheitlich guter Lage ohne Unterschied, in einer Form der Siedlung, die den Gemeinschaftsgedanken zum Ausdruck bringt“. 2 Die Zeiten, in denen Wert auf den Unterschied zwischen Arbeiterviertel und Villensiedlungen gelegt wurde, seien vorbei, hieß es weiter. Dem war aber offensichtlich nicht so, denn aus weiter nicht erläuterten „naheliegenden Gründen (…) konnten nicht alle Wohnungsgattungen zu einer gemischten Siedlung vereint werden.“ 3

Statt dessen gab es auch bei der Rückführung der Menschen auf den heimatlichen Boden und der Wiedereingliederung in den Rhythmus der Natur eine erste und eine zweite Klasse. Die geistige Elite wohnte in bürgerlichen Villengegenden, die durch ihre dekorativ repräsentativen Gärten nur äußerlich den Anstrich der „heimatlichen Bodenverbundenheit“ vermittelten. Die Arbeiter hingegen wurden in Kleinstwohnungen untergebracht und durch die Arbeit im Garten zu einem „bodenständigen Stand neben den Bauern“ herangebildet. Sie sollten als „Vasallen“ die Besiedlung und Bewirtschaftung der noch zu erobernden Ostgebiete leisten. 4 Die Gründe für diese Zweiteilung erfährt man bei Gustav Langen, dem Gründer und Leiter des Deutschen Archivs für Siedlungswesen:

„Es erscheint die Stadt im Rahmen der Landschaft als Ausdruck politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Kräfte; es erscheint das Dorf auf dem Nährboden der Flur der Kleinstadt mit ihren köstlichen Vergangenheitsformen und ihren Gegenwarts- und Zukunftsfragen.“ 5

In dieser Aussage wird jene Weltsicht deutlich, die es den Nationalsozialisten erlaubte, das akademisch gebildete Potential, Führungskräfte der Politik, Wirtschaft und Kunst, 6 in bürgerlich gestalteten Siedlungen wie der Schlageterstadt unterzubringen, während der Arbeiter in einer idyllischen Welt gefangen wurde, die ihm den minimalsten Lebensstandard garantierte und den trügerischen Schein einer heilen Welt vermittelte. Im Gegenzug nahm der Staat ihm seine Mündigkeit und gesellschaftliche Verantwortung ab.

Beide Siedlungsformen stellten eine „architektonische Flucht vor dem Industriezeitalter dar“ 7 . Anstatt sich um einen sinnvoll gestalteten, den modernen Ansprüchen genügenden Wohnungsbau zu bemühen, der der ständig steigenden Bevölkerungszahl in jeder Hinsicht ausreichenden Wohnraum garantierten würde, setzte man auf völlig unzeitgemäße Wohnformen, die in ihrem antiindustriellen und antikapitalistischen Charakter den Anforderungen einer modernen Gesellschaft nicht gerecht werden konnten.

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1. Zuvor hatten bereits die Mustersiedlungen ‚Kochenhofsiedlung‘, (Stuttgart, 1934) und ‚Siedlung Ramersdorf‘, (München, 1934) das nationalsozialistische Siedlungsverständnis dokumentiert; Peltz-Dreckmann 1978:145
2. Riemann 1937:77
3. Bücher 1937:430
4. Bushart 1937:164
5. Langen 1937(c) ZdB:473
6. Bushart 1984:164
7. Peltz-Dreckmann 1978:101

 

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