Die Zwölf Ständischen

Der Skandal um die Rossehalter sollte nicht der einzige Makel der Ausstellung bleiben. In dem zweibändigen Erinnerungswerk Maiwalds von 1939 waren auf einigen Fotografien der Wasserachse Skulpturen zu sehen, deren Existenz mit keinem Wort erwähnt wurde. 1 Auch diese Plastiken hatten zu Unstimmigkeiten geführt.

A436 Die große Wasserachse mit den zwölf Skulpturen Q NL Emundts 10
A436 Die große Wasserachse mit den zwölf Skulpturen Q NL Emundts 10

Dem barocken Beispiel folgend hatte man geplant, die Wasserachse im Garten beidseitig durch je sechs etwa lebensgroße Figuren zu flankieren. Die Motive wurden gewählt aus den Volks- und Ständegruppen, aus denen sich nach dem nationalsozialistischen Ideal das deutsche ’schaffende Volk‘ zusammensetzte. 2 Zehn Düsseldorfer Künstler bekamen den Auftrag, zunächst Modelle in Gips herzustellen. Zur Darstellung sollten zwölf der folgenden ständischen Motive gelangen: Jäger, Fischer, Sämann, Winzer, Winzerin, Schäfer, Musikant, Handwerker, Soldat, Bauer, Bäuerin, Gärtner, Gärtnerin, Ährenlesergruppe, Matrose, Hirte, Flötenspielerin und Viehzüchter. Entsprechend der Motivwahl sollten die Figuren in einem völkischen Stil gehalten werden, Aktdarstellungen oder eine klassische Figurenauffassung wurden von der künstlerischen Leitung ausdrücklich abgelehnt. 3 Die Vergabe der Verträge unterlag offiziell der Gesellschaft zur Förderung der Düsseldorfer bildenden Kunst e.V., die von der Stadt die notwendigen Gelder erhielt, die Honorare zu zahlen. 4 Faktisch sah die Auftragsverteilung allerdings ganz anders aus: bei einer Sitzung im August 1936 verlas Peter Grund aus einer Liste der Reichskammer der bildenden Künste Namen von Düsseldorfer Bildhauern. 5 Die Anwesenden Kocks, Vorsitzender der Gesellschaft, und Ebel teilten sodann ihre Ansicht über die Qualität der jeweiligen Herren mit. Diese Vorauswahl wurde der Kreisleitung der NSDAP vorgelegt, die über die Unbedenklichkeit der jeweiligen Bildhauer und damit über den Kreis der in Frage kommenden Künstler entschied. 6 Bei der Vergabe anderer Aufträge wurde die Gesellschaft gelegentlich ganz übergangen, namentlich dann, wenn Professor Peter Grund ohne Absprache mit Kocks bestimmten Künstlern Aufträge erteilte, wie z.B. dem Bildhauer Daniel Sommer die Erstellung des DAF-Hoheitszeichens an der Front der Neuen Kunstakadmie, was Kocks nicht nur ärgerte, sondern auch dazu führte, dass einige nicht beschäftigte Künstler sich benachteiligt fühlten, da sie keinen Auftrag erhielten, während andere gleich mehrere hatten. 7

Für die ‚Ständischen‘ beauftragte man eine Reihe Düsseldorfer Künstler mit der Anfertigung von Skizzen und Modellen, und erhielt 18 Vorschläge zur Auswahl. Aus den Teilnehmern wählte man knapp acht Monate vor der Ausstellungseröffnung zehn Düsseldorfer Bildhauer aus (Kurt Zimmermann, Hans Breker, Alexander Zschokke, Joseph Daniel Sommer, Erich Kuhn, Kurt Schwippert, Fritz Peretti, Zoltan Székessy und Robert Ittermann), die mit der Gestaltung der zwölf Skulpturen beauftragt wurden. 8 Diese fertigten zu den von ihnen gewählten Motiven zunächst Skizzen an, welche allerdings bei einer Besichtigung meist nicht den Wunschvorstellungen der Kunstkommission entsprachen. Daher wurde Scharff beauftragt, den Bildhauern „auszugleichende Mängel“ aufzuzeigen und „dem Künstler den Weg zu einer besseren Lösung“ zu weisen. Ittermann musste sogar noch einmal ganz von vorne anfangen, da seine Winzerin zu sehr der Darstellung Schwipperts glich, der auch eine Winzerin ausgewählt hatte. 9 Zu einer personellen Veränderung kam es, als der Oberbürgermeister sich einschaltete, da er wünschte, dass Gottschalk ebenfalls eine der großen Figuren gestalten sollte. Wagenführ bat Székessy, Gottschalk die Gestaltung der Großplastik zu überlassen und stattdessen den kleineren 5.000 RM – Auftrag für einen Brunnen in der Schlagetersiedlung zu übernehmen, der ursprünglich für Gottschalk vorgesehen war. 10 Angeblich hat der Ungar sich freiwillig auf diesen ungünstigen Tausch eingelassen. Angesichts der Tatsache, dass er bereits den Auftrag für die Rossehalter verloren hatte scheint dies allerdings unwahrscheinlich, was auch durch einen Brief belegt wird, in welchem Székessys Schwiegervater sich an Oberbürgermeister Wagenführ wendet. Es heißt hier, der Kulturdezernent, also Ebel, habe Székessy den Auftrag für einen „Muschelkalksäule“ auf der Ausstellung im folgenden Jahr wieder genommen und ihm stattdessen die Ausführung einer Figur in der Innenstadt [wahrscheinlich ist die Schlageterstadt gemeint, A.d.A.] angeboten, was den Künstler nicht freue. 11

A556 Die 'Ständischen' in der Bildhauerwerkstatt Q Meine Heimat 5.1937.105
A556 Die ‚Ständischen‘ in der Bildhauerwerkstatt Q Meine Heimat 5.1937.105

Basierend auf den Skizzen hatten die Künstler Modelle anzufertigen, die im Oktober von Becker, Scharff, Stadtrat Meyer, Hattrop u.a. begutachtet werden sollten. Aufgrund der Modelle wollte man entscheiden, wer von den Bildhauern zwei Plastiken schaffen sollte. Offensichtlich erwartete man bereits zu diesem Zeitpunkt Probleme, denn Fritz Becker, der von Grund für die künstlerische Überwachung der Ausführungen beauftragt worden war, 12 schlug im November vor, zunächst durch eine „Vor-Kommission“ die Tauglichkeit der Modelle prüfen zu lassen, bevor man durch einen größeren Kreis prominenter Persönlichkeiten eine endgültige Entscheidung treffen wolle. 13 Diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich als nicht ganz unbegründet, denn nur zwei der Figuren sollten den Vorstellungen der künstlerischen Oberleitung entsprechen und zwar die ‚Bäuerin‘ von Zimmermann sowie der ‚Fischer‘ von Zschokke, deren Modelle sofort zur Ausführung den zuständigen Steinmetzen Julius Haigis und Wilhelm Voegele übergeben wurden. Bis auf Kleinigkeiten wurden auch drei weitere Modelle akzeptiert: Zschokkes ‚Matrose‘, der nach Ansicht Ebels einen „mehr deutschen, dem nordischen Typus entsprechenden Gesichtsausdruck“ erhalten sollte, Joseph Daniel Sommers ‚Musikanten‘, deren „Gesichter straffer“ und „bewegter in Einzelheiten“ sein sollten. An Zimmermanns ‚Bauer‘ setzte man einige tote Stellen aus und verlangte eine ausdrucksvollere Rückenpartie. Als gelungen aber abänderungsbedürftig wurden die ‚Ährenleser‘ von Breker angesehen, dessen ‚Mutter und Kind‘ in Verbindung gebracht werden und einen weniger klassischen, mehr „erdnahen Ausdruck“ erhalten sollten. Umfangreichere Änderungen wurden auch bei Kuhns ‚Hirten‘ verlangt, der als Akt nicht den Erfordernissen entsprach und daher bekleidet werden sollte. Außerdem war der Gesichtsausdruck des ‚Hirten‘ zu diabolisch und die Tiere sollten einer „Überarbeitung im Sinne einer richtigen Anatomie“ unterzogen werden. Ähnliches galt für die ‚Schäferin‘ von Ittermann, deren Tiere plastisch und anatomisch einwandfrei gehalten werden sollten. Zudem besäße auch diese Figur einige vollständig tote Stellen, die gerade bei der zu erwartenden Untersicht noch unmöglicher wirken würden.

A560 Der Bildhauer Kurt Zimmermann in seinem Atelier, rechts die Skulptur 'Bauer' für die Ausstellung Q Meine Heimat 4.1937.84
A560 Der Bildhauer Kurt Zimmermann in seinem Atelier, rechts die Skulptur ‚Bauer‘ für die Ausstellung Q Meine Heimat 4.1937.84

Gänzlich abgelehnt wurde Perettis Figur ‚Flötenspieler‘, die in keiner Weise geeignet schien, die ihr gestellte Aufgabe zu lösen. Man stellte die Zahlung der letzten Rate des Honorars ein, woraufhin Peretti das Geld vor Gericht erfolgreich einklagte. 14 Auch die ‚Winzerin‘ von Schwippert schied aus, da sie durch ihre architektonische Auffassung derart aus dem Rahmen fiel, dass sie für die Gruppe der Ständischen ungeeignet erschien. Da man die Qualität der Arbeit dennoch erkannte – Landesleiter Brouwers hob die Figur sehr lobend hervor – setzte man sich dafür ein, die Figur an einer anderen Stelle aufzustellen. Man wählte den Vorhof der Kunstausstellung. Die Plastik wurde in Terrakotta ausgeführt und kostete incl. Honorar 3.500 RM. 15

Becker sah in dem Ausscheiden von Schwippert und Peretti eine Chance, durch das Heranziehen anderer Künstler den qualitativen Wert der Gruppe der Ständischen zu erhöhen und so „den Gesamtquerschnitt der großen künstlerischen Aufgabe auf eine bestimmte Höhe zu bringen, die unter keinen Umständen unterschritten werden (dürfe).“ 16 Um eine Qualitätssteigerung zu erreichen, schlug er vor, auswärtige Künstler zu beauftragen, da es „keine erstklassigen Düsseldorfer Bildhauer“ mehr gebe! 17 Allerdings spielte auch hier wieder die Politik eine Rolle. Die Kreisleitung hatte bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass noch mehrere ‚alte Parteigenossen‘ auf der Warteliste stünden: Alfred Zschorsch, Wilhelm Goebel, die Brüder Reiss-Schmidt, Bernhard Lohf und Walther Jungbluth. 18 Nun saß man in einer Zwickmühle, denn man glaubte einerseits, dass die genannten Bildhauer künstlerisch der Aufgabe nicht gewachsen wären. Andererseits hatte man kaum Alternativen zur Verfügung. Einzig geeignet schien Willy Hoselmann, der von Kocks vorgeschlagen wurde, da er die Aufgabe sicherlich lösen könne. 19 Schließlich vergab man die beiden letzten Plastiken an Zschorsch (‚Winzerin‘) und Hoselmann (‚Falkner‘), die Ende April fertiggestellt waren und an der Wasserachse aufgestellt wurden. 20 Damit war zwar die endgültige Vergabe festgelegt:
Hans Breker (‚Ährenlesergruppe‘ und ‚Sämann‘), Willy Hoselmann (‚Falkner‘), Ernst Gottschalk (‚Spatenmann‘), Robert Ittermann (‚Schäferin‘), Erich Kuhn (‚Hirte‘), Joseph Daniel Sommer (‚Musikanten‘), Kurt Zimmermann (‚Bauer und Bäuerin‘), Alexander Zschokke (‚Fischer‘ und ‚Matrose‘) und Alfred Zschorsch (‚Winzerin‘).

Die kritische Haltung der künstlerischen Oberleitung hielt jedoch selbst nach der Fertigstellung der Skulpturen durch die Steinmetze Haigis und Voegele weiter an. Kocks hatte bereits im Dezember 1936 darauf hingewiesen, dass es ein Wunder gewesen wäre, wenn auf Anhieb alle 12 Figuren den Erwartungen entsprochen hätten. Für die Berliner Olympia-Kunstausstellung waren allein für die Ermittlung der teilnehmenden Künstler Unsummen ausgegeben worden. 21 In Düsseldorf hingegen hatte man sich sowohl in finanzieller als auch in zeitlicher Hinsicht im allerengsten Rahmen gehalten, so dass Probleme vorprogrammiert waren.

Am 14. April bemängelte man bei einer erneuten Besichtigung durch Wagenführ, Ebel, Meyer, Brouwers, Walter, Dr. Berns, Grund, Becker, Scharff, Maiwald, Hattrop, Tapp und Bücher die zu femininen Beinzwickel von Gottschalks ‚Spatenmann‘, die zu „salonmäßig“ ausgeführten Haare des Kuhnschen ‚Hirten‘ sowie den Gesichtsausdruck und die „Froschaugen“ der ‚Musikanten‘ von Sommer. 22 Zwei Wochen später waren es die ‚Ährenleserin‘ von Breker, beide Plastiken von Zschokke und die von Sommer für das HJ-Heim angefertigte BDM-Gruppe sowie seine ‚Musikanten‘, die den Argwohn der Verantwortlichen hervorriefen. 23 Becker wies darauf hin, dass diese Figuren Gefahr liefen, noch vor der Ausstellung abgeräumt zu werden, falls sie nicht nochmals überarbeitet würden! 24 Um für die bevorstehende Endabnahme die Plastiken in besonders gutem Licht erscheinen zu lassen, schlug Becker Kocks vor, durch den Düsseldorfer Fotografen Oskar Söhn Aufnahmen anfertigen zu lassen, die die Plastiken im Sonnenschein zeigen. Da bei der Besichtigung schlechtes Wetter erwartet wurde und die Figuren bei guten Lichtverhältnissen eine wesentlich bessere Wirkung hätten, sollte man auf diese Maßnahme zurückgreifen. 25

Zur Endabnahme am 5. Mai 1937 erschienen wiederum hohe Persönlichkeiten der Stadt und der Partei und begutachteten unter den Augen der Künstler, deren Arbeiten immer wieder bemängelt wurden, zum letzten Mal vor der Ausstellungseröffnung die Plastiken. Entscheidende Veränderungen sind offenbar nicht mehr vorgenommen worden. Dennoch war die Diskussion um die Skulpturen an der Wasserachse noch lange aktuell und sollte im Sommer – wahrscheinlich angeregt durch die Ereignisse um die Rossehalter – einen neuen Höhepunkt erreichen.

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1. Bushart 1984:71
2. Houben 1984:104
3. Bushart 1984:168
4. StAD xviii 1765, Brief vom 9.9.1936
5. Nach dem Reichskulturkammergesetz vom 22.9.1933 war die Erlaubnis als Kulturschaffender tätig zu sein von der Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste abhängig. Diese (Zwangs-) Mitgliedschaft war allerdings nur dann möglich, wenn die Gesinnung des jeweiligen Künstlers oder der Künstlerin als geeignet erschien. Betätigte man sich auf kulturellem Gebiete, ohne Mitglied in einer der Kammer zu sein, so wurde man durch die Polizei an der Ausübung seines Berufes gehindert und war zudem weder kranken- noch sozialversichert; Alberg 1987:14, 42
6. StAD 1765, Kocks am 19.8.1937
7. StAD xviii 1765, Bericht von Kocks
8. Die Künstler sollten jeweils 3 500 RM für ihre Arbeit erhalten, weitere 2 500 RM waren für die Bezahlung der Steinmetzen eingeplant, StAD xviii 1765, Protokoll vom 17.9.1936
9. StAD xviii 1765, Bericht vom 20.10.1936
10. StAD xviii 1765, Brief von Kocks vom 12.11.1936
11. StAD iv 1896a, Brief vom 9.11.1936
12. StAD iv 1903, Brief von Kock vom 28.4.1937
13. StAD xviii 1765, Becker am 27.11.1936
14. StAD xviii 1765
15. StAD xviii 1765, Sitzungsprotokoll vom 19.12.1936, Begutachtung vom 11.12.1936
16. StAD xviii 1765, Brief von Becker an Kocks vom 16.12.1936
17. StAD xviii 1765, Brief vom 16.12.1936
18. StAD xviii 1765, Brief von Kocks an Ebel vom 16.12.1936; S. auch StAD 1765 Protokoll vom 26.6.1936
19. StAD xviii 1765, Brief von Kocks an Ebel vom 16.12.1936
20. StAD xviii 1765, Brief von Becker an Kocks vom 27.4.1937
21. StAD xviii 1765, Brief von Kocks an Ebel vom 16.12.1936
22. StAD xviii 1765, Protokoll vom 15.4.1937
23. StAD iv 1903, Brief vom 28.4.1937
24. StAD xviii 1765, Brief von Becker vom 27.4.1937
25. StAD xviii 1765, 30.4.1937

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