Auf dieser Seite:
Die Ehrenhalle des werktätigen Volkes
Der erste Raum, den der Besucher laut offiziellem Rundgang nach dem imposanten Auftakt an der Fahnenstraße betreten sollte, war die ‚Ehrenhalle des werktätigen Volkes‘. Diese Halle diente als eine Art Vorwort, das zunächst die Gliederung der Ausstellung in die vier Bereiche deutlich machen sollte:
1. die vom Amt für deutsche Roh- und Wertstoffe organisierte Vierjahresplan-Werkstoffschau,
2. Leistungsschau der Industrie und Wirtschaft,
3. Raumwirtschaft und Städtebau (Bauen, Siedeln, Wohnen)
4. Gartenkultur und Kunst
Zudem hatte dieses ‚Vorwort‘ die Aufgabe, die Besucher über den großen Zusammenhang zwischen der Werkstoffschau und dem nationalsozialistischen Vierjahresplan aufzuklären. Die Idee für die Gestaltung der Halle als ‚Vorwort‘ war vom Verein Deutscher Ingenieure gekommen, der unter der künstlerischen Leitung Gerhard Graubners die Ausgestaltung zusammen mit verschiedenen Industriegruppen übernahm. 1 Ausgestellt wurden unter anderem vier wuchtige Säulen, die mit den deutschen Rohstoffen gefüllt waren: Eisenerz, Holz, Steine und Erden, Wasser. Exemplarischen wurden kurze Ausschnitte aus dem Arbeitsprozess sowie die Ergebnisse der Grundstoffveredelung durch Arbeit gezeigt: Flugzeugmotor aus Stahl, Holzpropeller, pharmazeutische Produkte aus Kohle, usw. Illustriert wurde das ‚Vorwort‘ mit einem Wandgemälden des Aachener Maler Janssen, das das ‚Schaffende Volk‘ in bei der Arbeit darstellte, sowie mit grafischen Darstellungen von dem Maler Geißler. 2
Durch diese kurze Beschreibung wird bereits deutlich, wie wenig die Trennung zwischen Industrieschau und Werkstoffschau möglich war. Beide verschmolzen sowohl thematisch als auch räumlich derart miteinander, dass die in der Gliederung angedeutete Trennung lediglich ein theoretisches Konstrukt war, das in der Praxis nicht existierte. Ganz im Gegenteil, die Wertstoffschau war vielmehr das Herzstück der Industrieausstellung, denn die Wertstoffe, die für die Verwirklichung des Vierjahresplans benötigt wurden, waren sowohl Rohstoffe als auch Produkte der deutschen Industrie.
In den folgenden Hallen sollten in einzelnen ‚Kapiteln‘ die Leistungen und Errungenschaften der Dritten Reiches an praktischen Beispielen veranschaulicht werden. Die Hallenschau hatte die propagandistische Aufgabe, die Bevölkerung im Sinne des Nationalsozialismus zu erziehen. Hier wurden Erzeugnisse, das Können und die Fertigkeiten der deutschen Industrie dokumentiert, die Nationalstolz und Siegesgewissheit bei der durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Reparationsfolgen ‚gedemütigten‘ und durch die Weltwirtschaftskrise verunsicherten Bevölkerung erzeugen sollten. Gezeigt wurde eine den Besucher „eher überwältigende“ 3 Menge, wobei ‚Wunder der Technik‘ dominierten. Eine thematische Begrenzung gab es nicht. Die deutsche Industrie konnte alle Erzeugnisse zeigen, deren Herstellung oder Gebrauchswert irgendwie vom Gewöhnlichen abwich. Hervorgehoben wurden dabei besonders die Ersatzstoffe, die entwickelt worden waren, um devisenverschlingende Importe zu drosseln und die helfen sollten, die Ziele des Vierjahresplans zu verwirklichen. Ein erklärtes Ziel der Ausstellung war es, die „Ersatzstoffpsychose“ in der Bevölkerung abzubauen und stattdessen die Akzeptanz dieser Stoffe zu fördern und das Vertrauen in die Leistungen des ‚Dritten Reiches‘ zu erwecken. 4
Die aus den „vier deutschen Grundrohstoffen“ 5 Erz, Wasser, Holz und Steine und Erden durch deutsche Facharbeiter mit Hilfe der Chemie und der Technik hergestellten Kunststoffe waren in allen Formen und Ausführungen zu bewundern. Dazu zählte vor allem der synthetische Kautschuk – Buna – der insbesondere bei den ausländischen Besuchern starkes Interesse hervorrief. 6 Im ‚Daily Mail‘ war zu lesen, die Ausstellung zeige, dass ein neues Zeitalter, das Zeitalter der Chemie und der künstlichen Stoffe, angebrochen sei. Ward Price, der Reporter der englischen Zeitung berichtete weiter: „Der Vierjahresplan sollte Deutschland von der Welt unabhängig machen, aber die neuen Dinge, die im Rahmen dieses Plans in Deutschland geschaffen worden sind, werden für die ganze zivilisierte Welt von Nutzen sein.“ 7
Den Höhepunkt bildete der „Vierjahresplanwagen“, ein runderneuerter D-Zug-Wagen, der fast vollständig, „von der Dachhaut bis zum Fensterriemen, vom Zellwollplüsch der 2. Klasse bis zum Zellwollschmierpolster der Achslage, vom Buna-Bremsschlauch bis zum Buna-Dichtungsring …“ mit neuen Werkstoffen überholt war. 8 Begeistert über die neuen Werkstoffe zeigte sich auch die Bauwelt, die hervorhob, dass die „Not eben der Vater aller (neuen!) Dinge“ sei, sonst habe man vom Krieg in dieser Rolle gesprochen. 9 Zu dem Schluss, dass die ‚Not‘ darin bestand, möglichst schnell kriegsfähig zu werden, kam man hier scheinbar nicht.
Hitler hatte verlangt, dass sich ganz Deutschland in eine einzige große Werkstatt verwandeln solle, 10 und so wurde in den Hallen gearbeitet und das geschaffen, was die Besucher zu Gesicht bekommen sollten. Die Wertstoffe lagen nicht einfach zur Besichtigung aus, sondern entstanden vor den Augen der Besucher, alle gezeigten Maschinen arbeiteten: In einem kleinen Hüttenwerk wurde die Erzeugung und Veredelung von Erz zum ersten Mal ‚live‘ einem Publikum vorgeführt, 11 Stahlblöcke wurden in einem Lichtbogen-Elektroofen gegossen, auf einer Hammerschmiede ausgeschmiedet und in einer Triowalzstraße zu Stäben warm ausgewalzt, um in einer Gelenkschmiede, einer Drahtzieherei und einem Bandwalzwerk zu Verbrauchsgütern verarbeitet zu werden. 12 Besonderes Interesse rief bei diesen Vorführungen die Herstellung von Glaswolle hervor, 13 die es zwar schon seit längerer Zeit gab, deren Produktionsverfahren aber bei der Allgemeinheit noch nicht sehr bekannt war. Der in der Halle der Düsseldorfer Glashütte aus 0,01- 0,02 mm dünnen Glasfäden produzierte Isolierstoff sollte kanadischen Asbest oder portugiesischen Kork restlos ersetzten. 14
Um die grundsätzliche Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie und des deutschen Handwerks zu dokumentieren, veranschaulichte man die Qualität der deutscher Produkte anhand spektakulärer Mittel: So zeigte man in einer Halle u.a. eine deutsche Schiffskurbelwelle aus dem Jahre 1856, die den Aufdruck 10 Jahre Garantie trug und 70 Jahre lang ununterbrochen in Einsatz war, 15 daneben schwebte eine Kraftwagenkarosserie, die an einem einzigen Schweißpunkt aufgehängt war. 16 Sodann versuchte man durch eine kontinuierliche Gegenüberstellung von Alt und Neu, von Früher und Heute, von ‚Systemzeit‘ und ‚Nationalsozialismus‘ die Fortschritte der letzten Jahre zu veranschaulichen und gleichzeitig alle Entwicklungen der Weimarer Zeit zu schmälern. Mangels passender Beispiele gelang es allerdings nicht, sich tatsächlich auf nationalsozialistische Errungenschaften zu beschränken. Ganz im Gegenteil: Durch die Verquickung von Althergebrachtem und neuen Entwicklungen, vom Eisenguss bis zur Herstellung synthetischer Kraft- und Kunststoffe wurde den Besuchern suggeriert, dass die Nazis selbst die Kunst des Buchdrucks erfunden hatten.
Die New York Times betonte in diesem Zusammenhang, dass die fast schon revolutionäre Bedeutung der Ausstellung keineswegs im umfassenden Aufzeigen der Leistungen der deutschen Wirtschaft lag, da sich hier keine umwälzenden Entwicklungen vollzogen hätten, zumal einige deutsche Produkte aus Patenten anderer Staaten herrührten. Die eigentliche Bedeutung der Ausstellung liege in der Vielfalt und Qualität der Produkte, die die deutsche Industrie aus den neuen künstlichen Grundstoffen herzustellen vermochte, 17 so z.B. das Zellophan, das bereits seit 10 Jahren existierte und aus welchem die deutsche Industrie mittlerweile etwa 50 verschiedene Produkte entwickelt hatte. 18 So waren auch die neuen Werkstoffe das meistbesuchte Teilgebiet der Ausstellung. 19
Maiwald schrieb in seinem zusammenfassenden Bericht über die Industrieschau, dass man umso mehr entdeckte, je länger man sich umsah. 20 Tatsächlich ließ sich bei genauerer Beobachtung hinter dem Vorhang einer friedlichen Ausstellung bereits die gewaltige Kriegsmaschinerie erahnen. Wie wenig friedlich die Absichten der nationalsozialistischen Führung waren hatte wenige Tage vor der Ausstellungseröffnung die deutsche Luftwaffe bewiesen, als sie ohne Vorwarnung den baskischen Ort Guernica fast völlig zerstörte. Picassos künstlerische Verabreitung dieser Attacke war auf der Weltausstellung in Paris zu sehen.
Kriegsgerät war nicht nur interessant, weil die Erinnerung an den letzten Weltkrieg noch frisch war, sondern weil die deutsche Regierung und die deutsche Industrie sich intensiv mit der Kriegsvorbereitung beschäftigte. Allein die ausgestellten Heeresgeräte der Rheinmetall-Borsig-AG für Heer, Marine und Luftwaffe, 21 der Einsatz von Ersatzstoffen auf allen Gebieten der „Wehrwesens“ 22 , Modelle zweier Kriegsschiffe, das moderne Schnellflugzeug Ju 86 23 und die zahlreichen exemplarischen Luftschutzkeller samt Luftschutzfenstern der Firma Mannesmann 24 hätten dem aufmerksamen Besucher deutlich können, wohin der nationalsozialistische Weg führen sollte.
Es wurde der Eindruck erweckt, Deutschland sei in der Lage, allein und auf friedlichem Wege mittels seiner eigenen Rohstoffvorräte den bisherigen Lebensstandard zu halten, bzw. ihn zu verbessern. Dieses Ziel hätte durch eine Integration in den Welthandel erreicht werden können, doch ging man den Umweg über die Autarkie Deutschlands, um ausreichende Ressourcen für die Kriegvorbereitung zu gewinnen. Diese Motivation wurde den Ausstellungsbesuchern natürlich verschwiegen. Ausgerechnet der Leiter des Gaus Düsseldorf, Karl Friedrich Florian, heuchelte zwei Jahre nach der Ausstellung, niemand habe geahnt, „wie bald schon das, was wir im Vierjahresplan und mit dieser Ausstellung verkündet haben, sich in großer und schwerer Kriegszeit würde erproben und bewähren müssen“. 25
Raumwirtschaft und Städtebau: Die Halle „Deutscher Lebensraum“
Ein sehr wichtiges ‚Kapitel‘ der Ausstellung stellte die Abteilung für Raumwirtschaft und Siedlung, ‚ Deutscher Lebensraum‘, dar, die sich in mehrere Hallen gliederte. 26 Hier sollte dem Besucher „ein abgerundetes Bild des schaffenden Deutschland Adolf Hitlers“ 27 und die Notwendigkeit der Umgestaltung des deutschen Lebensraums veranschaulicht werden. Leider wurde dieses Kapitel nicht rechtzeitig zur Ausstellungseröffnung fertiggestellt. Einen Teil, der sich mit der Entwicklung Düsseldorfs befasste, konnte knapp zwei Wochen nach der Eröffnung für die Öffentlichkeit freigegeben werden. 28 Der restliche Teil war auch dann noch nicht fertiggestellt. Wahrscheinlich lag dies an den sehr umfangreichen Vorarbeiten, die zu leisten waren und in der kurzen Zeit nicht beendet werden konnten. Noch mehr als in den restlichen Ausstellungsteilen schien hier das Motto „Der Appell an das Staunen geht durchs Auge“ 29 zu sein. Auf riesigen Karten und Modellen wurden alle Bereiche der deutschen Infrastruktur, der Natur und Landwirtschaft, der Besiedelung, etc. dargestellt. Allein die fotografischen Vergrößerungen nahmen 400 qm Wandfläche ein. 30 Als Prunkstück galt ein Präzisionsrelief im Maßstab 1:300.000, welches ohne Beschriftung oder politische Eintragungen ein dreidimensionales Bild Deutschlands mit allen Landes- und Kreisgrenzen, Autobahnen, Reichs-, Provinz-, Kreis- und Gemeindestraßen, Flüssen, Seen, Eisenbahnen, Städten und Ortschaften zeigte. 31 Diese Karte war Vorlage für andere Reliefkarten, die die einzelnen Teilgebiete der „Grundfragen des deutschen Raums“, des Wohnens und Siedelns und der deutschen Städte und Dörfer darstellten und wie ein roter Faden immer wieder in den verschiedenen Hallen auftauchten. 32 An der Herstellung dieser Karten hatten 230 Künstler, Techniker und Wissenschaftler monatelang gearbeitet. Anstatt Karten zu malen, wurden Kunstharze, Hartpapiere, Hölzer, Drähte, Gusseisen, Gläser, Steine und Erden verwendet: „Die aus ihnen durch verschiedene Verfahren hergestellten Teile dienten zur Darstellung von Grenzen, Autobahnen und Straßen, Eisenbahn und Schiffahrtslinien, Flächen aller Art, verschiedener Haustypen, Bäumen, Burgen, Menschen, Berufsgruppen und anderem“. 33
Diese Karten sollten nicht nur die Besucher aus dem Extrem eines nationalsozialistischen Blickwinkels über die aktuelle Lage Deutschlands informieren, sondern sie zugleich auf die vermeintliche Notwendigkeit der zukünftigen Umgestaltung des deutschen Lebensraums vorbereiten. Dies betraf zum einen den Schutz und die bessere Ausnutzung der Rohstoffreserven und zum anderen die geplante Neugliederung der deutschen Städte und Ortschaften. Zu dem erstgenannten Punkt gab es einige kuriose Ideen. So wurde neben Verfahren zum Wasser- und Luftschutz, der Öl- und Fettrückgewinnung aus Abwasser und der Herstellung von Methangas aus Klärschlamm 34 auch die Fischzucht in Abwasserteichen propagiert. 35 Das Klima sollte zugunsten der landwirtschaftlichen Vegetation verbessert werden, indem man neben natürlichen Windschutzanlagen 36 auch gezielt Feuerbrände zur Milderung des Frosts nutzte. 37 Weitere Vorschläge gingen dahin, Heide- und Moorlandschaften in landwirtschaftliche Nutzflächen umzugestalten. So könne z.B. in der Lüneburger Heide 3.000 qm Boden durch den Auftrag einer zehn Zentimeter dicken Lehmdecke in Ackerland verwandelt werden. 38
Die zweifelhaften Vorschläge zur Ausnutzung und Verbesserung der natürlichen Gegebenheiten konnten nur durch die Pläne zur Umgestaltung des deutschen Lebensraums übertroffen werden. Auf Karten und Fotografien wurde die „Raumnot“ veranschaulicht, die eine „bessere Verteilung der deutschen Bevölkerung“ nötig machte. 39 Um diesen Anspruch zu unterstreichen, zeigte man eine Karte, aus welcher die Bevölkerungsverteilung der Welt hervorging und die den Anspruch des deutschen Volkes auf die Erschließung kaum besiedelter „Weltenräume“ rechtfertigen sollte. 40 Um dieses Vorhaben anschaulich zu gestalten, wurde ein exemplarisches Modell einer neuen Kleinstadt gezeigt, die mit 20.000 Einwohnern das „nationalsozialistische Ideal einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung“ darstellte, 41 einer Kleinstadt, die sich an mittelalterlichen Verhältnissen und ständischen Ordnungen orientierte.
Am Beispiel Düsseldorfs wurde aufgezeigt, wie eine Großstadt, die sich aus kleinen Anfängen organisch entwickelt hatte, „um sich dann in der liberalistischen Epoche zu einem ‚Gebilde‘ formlos zu erweitern“ 42 , durch eine planvolle Umsiedlung nach „natürlichen“ Richtlinien im Laufe der nächsten Jahrzehnte aufzulockern sei. 43 Zur „Auflockerung zu starker Anhäufungen“ 44 sollten Bevölkerungsteile aus dem Stadtkern in Vororte mit einem „kleinstadtartigen Kern“ 45 verlegt werden, wo alle notwendigen Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden waren. Modelle der Düsseldorfer Stadtteile Gerresheim, Oberkassel, Lichtenbroich und Unterrath sollten Beispiele für die angestrebten ‚Lebensgemeinschaften‘ zeigen. 46 Wie Großstädte, die als der Volksgesundheit schadende ‚Gebilde‘ innerhalb weniger Jahrzehnte aufzulockern seien, wurde in einem weiteren Modell veranschaulicht. Wie man dies innerhalb weniger Jahre schaffte, zeigte dann der Krieg.
Um trotz der Dezentralisierung enge Verbindungen aufrecht erhalten zu können, musste ebenfalls das Verkehrswesen und die gesamte Infrastruktur verbessert werden. Auch dieses Problem wurde in der Halle ‚Deutscher Lebensraum‘ angesprochen. Von der „Planung bis zur Anlage von Straßen, Verkehrs- und Wohnwegen“ und der Darstellung von Verkehrsmitteln jeglicher Art, wurde das Verkehrswesen umfassend aufgeführt. 47 Neben der Nutzung des Verkehrs „im Dienst der Erholung in der Stadt und auf dem Land“ hatte der Verkehr eine stark wachsende Bedeutung für die Politik der „Auflockerung“. Die ausgelagerten Industrien und damit verbundenen Siedlungen mussten sich zum effektiven und schnellen Austausch von Waren und Gütern auf eine gut organisierte Infrastruktur stützen können. Aber nicht nur landesweite Verkehrswege hatten den Belangen des NS-Staates zu genügen, sondern auch jene in den Städten. Hier ging es weniger um die Gesundheit der Städter, sondern vielmehr um die Vorbereitung auf einen Krieg. Um die Wirkung von Bomben- und Giftgasangriffen möglichst niedrig zu halten, sollten die Straßen breit angelegt sein, damit zwischen den Trümmern zerbombter Häuser noch genügend Platz für die Durchfahrt bliebe; um giftigen Gasen schnellen Abzug zu bieten, sollte die Ausrichtung der Straßen in der vorherrschenden Windrichtung erfolgen. Große Plätze und Freiflächen mit Wasseranlagen sollten weiteren Schutz bieten. 48 Den in dem Werk „Luftkrieg und Städtebau“ von Karl Otto aufgestellten Forderungen entsprachen auch die Vorschläge auf der Ausstellung. Das Modell der „idealen Stadt“ zeigte ein Verkehrsnetz mit einer Trennung von Lokal- und Durchgangsverkehr durch Ring- und Umgehungsstraßen, Achsenkreuze, die durch die Hauptdurchgangsstraßen gebildet wurden und breite Alleen, die kleine, verwinkelte Straßen ersetzten. Ein besonderes Thema waren natürlich die neuen Autobahnen, deren Erstellung in vollem Gange war. Die Darstellung in Wandbildern und Schautafeln erreichte bereits Merkmale unkritischer Verherrlichung. Das Autobahnkreuz, die „kolumbuseihaftige Lösung für die kreuzungsfreie Kreuzung“ 49 , stand hier im Mittelpunkt. Zwar war das Kleeblatt die Erfindung eines Schweizer Lehrlings, dennoch vermittelte man unterschwellig den Eindruck, als sei es eine Eingebung des „Führers“.
Die in der Ausstellung gezeigte Raumplanung war ein propagandistischer Feldzug in Richtung Autarkie. Hier wie in allen anderen Hallen quoll dem Besucher der Geist des Vierjahresplans aus allen Richtungen entgegen. Versuchte man auch dem Besucher zu vermitteln, es ginge bei der Reorganisation Deutschlands um die Sicherheit des Daseins des deutschen Volkes, so steckte doch hinter all den Karten und Modellen nur die Sucht nach Macht und der Wille zum Krieg. Um bei den Besuchern die Bereitschaft zu erzeugen, für eine gewisse Zeit willig Opfer zu bringen, um einst in einem von allen anderen Nationen unabhängigen „sauberen“ deutschen Staat leben zu dürfen, wurde dem Besucher die „natürliche Knappheit des deutschen Lebensraums“ suggeriert, die noch verschärft worden sei durch „die unglückseligen Auswirkungen des Friedensvertrags“. 50
In der Halle ‚Deutscher Lebensraum‘ zeigten die Architekten Hentrich und Heuser der Öffentlichkeit ein Modell, das sie im Auftrage Gustav Langes, des Leiters der raumwirtschaftlichen Abteilung, unentgeltlich erstellt hatten. Es zeigte völlig unverbindlich eine Ideenskizze zur Gestaltung des Düsseldorfer Altstadtufers. 51 Diese sah neben einem hochaufragenden Rathausneubau eine Zentralbibliothek und eine Stadthalle vor. Besonders hervorgehoben wurde die Respektierung des Altstadtcharakters und die Schaffung neuer Plätze, insbesondere eines großen freien Platzes direkt am Rhein, den es bisher in Düsseldorf nicht gab. 52 Am 29. Juni 1937 wurde das Modell zu diesem Entwurf in den Abstellraum der Halle verbannt. Kreisleiter Walter hatte die Entfernung angeordnet mit der Begründung, dass „es unmöglich sei, ein solches Projekt öffentlich auszustellen …, solange ein solches Projekt nicht der öffentlichen Kritik unterworfen gewesen sei.“ 53 Wie genau die Nationalsozialisten es mit der Offenlegung ihrer Stadtplanung nahmen, sollte die Düsseldorfer Öffentlichkeit erst erfahren, als Mitte der achtziger Jahre Pläne gefunden wurden, die das Vorhaben der braunen Stadtplanung offenlegten. 54
Die Bevölkerungspolitik im Nationalsozialismus
Die in der Halle ‚Deutscher Lebensraum‘ propagierten Umstrukturierungsmaßnahmen entsprachen den Zielen der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik, die mit allen Mitteln eine Neuordnung der „Verteilung von Mensch und Arbeit“, die seit der „hundertjährigen [sic], liberalistischen Herrschaft“ 55 planlos verlaufen sei, durchsetzen sollte. Der Leiter der Reichsstelle für Raumordnung, Gottfried Feder, der durch die Gleichschaltung die gesamte Kontrolle über die Wohnungsbaugesellschaften besaß, hatte während seiner einjährigen Amtszeit eine „Auflockerung der Großstädte, eine Wiederbodenständig- und -seßhaftmachung der Bevölkerung, die Erlösung aus dem Großstadtelend und die Schaffung gesunder Lebensbedingungen für die heranwachsende Generation“ gefordert, 56 was in wesentlichen Grundsätzen an die Ziele der Gartenstadtbewegung erinnerte. Feders Forderungen zielten auf die Zerschlagung der ungeliebten Großstädte, ein gigantisches architektonisches Vorhaben, welches sich zwangsläufig aus der Bevölkerungspolitik ergeben hätte. Für die NS-Ideologen gab es viele Gründe eine Auflockerung anzustreben. Zu den propagierten Gründen für die Umsiedelung der Stadtbevölkerung in ländliche Gebiete gehörte die Sicherung der Volksgesundheit, denn die Städte galten als volksschädigend. „Die Großstadt ist der Tod einer Nation“ war eine verbreitete Meinung. Der aufgrund der Landflucht „ungebremste und planlose Zuwachs der Stadtbevölkerung“ habe schon zu Schäden geführt, die durch eine umfangreiche Umgestaltung ausgeschaltet werden sollten. 57 Zu diesen Schäden gehörten z.B. die Unfruchtbarkeit der Stadtbevölkerung, der „verlorene Wille zum Kind“ 58 , der sich in einer sinkenden Geburtenrate ausdrückte 59 und daher den Erhalt der Volksgemeinschaft bedrohe, die erst ab drei Kindern pro Familie gesichert sei. Feder war überzeugt, dass eine städtische Gesellschaft nach der dritten Generation aussterben müsse. 60
Wurde von den Nazis als Begründung für die Zerschlagung der Großstädte immer die Sicherung der Volksgemeinschaft in den Vordergrund gerückt, so verfolgte man mit der Politik der Auflockerung insgeheim auch andere Ziele. Die verhassten Städte galten nicht nur als Hochburgen jüdischen und sozialdemokratischen oder gar marxistischen Kultur- und Gedankengutes, die es zu vernichten galt, sondern spielten auch in der Wehrpolitik eine wichtige Rolle. Die Erfahrungen im Luftkampf des Ersten Weltkrieges hatten deutlich gemacht, wie verletzbar größere Industrie- und Bevölkerungskonglomerate sind und zu welch großem volkswirtschaftlichem Schaden ein Angriff auf dieselben führen kann. In Deutschland lagen aber immer noch 82 Prozent der Industrieanlagen und 45 von 52 Großstädten auf für feindliche Waffen ohne große Schwierigkeiten erreichbarem Gebiet. 61
Die Lösung für all diese Missständen sahen Teile der NS-Ideologen in der Verlegung von Industrieanlagen, der Sanierung und Auflockerung der Großstädte, sowie in einer weitgehende Reagrarisierung und Umsiedelung der Stadtbevölkerung auf das Land. 62 Hitler, der im Gegensatz dazu nicht in den Städten die Ursache für den rassischen oder kulturellen Untergang sah – „Ohne Rom hätte es nie en römisches Reich gegeben“ -fokussierte seine Anstrengungen vor allem 63 auf die monumentale Umgestaltung Berlins zur repräsentativen Hauptstadt und Münchens zur Hauptstadt der Bewegung.
Die Planungen für die Umgestaltung der Großstädte vor dem Zweiten Weltkrieg, bzw. für den Wiederaufbau nach dem „Endsieg“, bedienten sich immer des gleichen Schemas: Neue, auf die zukünftigen Bedürfnisse ausgerichtete Verkehrswege, die die Beseitigung alter Bebauung nötig machten, gaben die Struktur vor. In einem Netz von Achsen, Ring- und Radialstraße befand sich als Zentrum ein von monumentalen Parteibauten (Gauforum) umgebenes Achsenkreuz, weitere „Bauten der Gemeinschaft“ stachen als markante Punkte aus dem Großstadtbild heraus. Aufmarschplätze für repräsentative Zwecke der Partei und zur Abhaltung von Feiern schlossen sich an. Daneben sollten weiträumige Grünflächen und großflächige Siedlungen die dichte Bebauung der Stadtzentren auflockern. 64
Während Hitler vor allem die Umgestaltung der Städte betrieb, arbeiteten andere Parteifunktionäre, wie Feder oder Schultze-Naumburg, an der Rückführung des Deutschen an die „Scholle“. Außerhalb der städtischen Ballungszentren würde es keine ungesunden Wohnverhältnisse geben, die Geburtenrate würde steigen, im Kriegsfalle wären dem Feind keine guten Angriffsmöglichkeiten gegeben und die Belebung ländlicher Gebiete würde einen erheblichen Beitrag zur Sicherung der Volksernährung leisten 65 und damit auch die Unabhängigkeit von anderen Nationen fördern: „Eigene Nahrungsmittel sichern die politische Freiheit.“ 66 In diesem Sinne sind auch die Ausdehnungspläne in östliche Gebiete zu verstehen.
Daher war man entschlossen, den Arbeiter, das entwurzelte deutsche Volk, auf dem Lande sesshaft zu machen, „an die Scholle zu binden“. Das Endziel der Auflockerung und Umsiedelungen bildete eine ‚Stadtlandschaft‘, die aus einem über das gesamte Reich ausgebreiteten Netz von verwaltungstechnisch unabhängigen Siedlungskernen bestand, die industriell und agrarwirtschaftlich alle Bedürfnisse der Einwohner im Bezug auf Versorgung und Arbeitsmarkt befriedigten. Eigene Konzepte für die Umsetzung dieser Ziele besaßen die Nazis jedoch nicht. Die Idee, die Stadtbevölkerung auf das ländliche Gebiet zu verteilen, hatte es 1896 schon bei Theodor Fritsch 67 und zwei Jahre später bei dem Engländer Ebenezer Howard gegeben, den gedanklichen Vätern der Gartenstadtbewegung. Überhaupt hatten die Forderungen Feders eine große Ähnlichkeit mit den Gartenstadtideen. In seinem Buch ‚Garden Cities of Tomorrow‘ hatte Howard 1898 zur Bildung von Gartenstädten aufgerufen, die als selbständige Ortschaften zwar guten Kontakt zu den umliegenden Großstädten haben, jedoch als selbständige Ortschaften nicht den Charakter eines Vorortes oder einer reinen Schlafstadt besitzen sollten. 68 Wesentliches Charakteristikum dieser Gartenstädte war eine zentrale Grünanlage, die von konzentrischen Häuserreihen umgeben war. Als Verbindung zwischen den verschiedenen Ringstraßen dienten sternförmige Boulevards. 69 Die ‚Grünidee‘ war bei allen Reformvorschlägen der Jahrhundertwende zu finden, die gegen die „versteinerte, kapitalistische“ 70 Stadt antraten und fand sich auch bei den Siedlungen wieder, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft gebaut wurden.
[→ weiter]
1. Beteiligt waren neben dem VDI der Verein Deutscher Eisenhüttenleute, der Verein Deutscher Chemiker, die Wirtschaftsgruppen für Stahl und Eisen, für Nichteisenmetalle, Glas, Bergbau, Steine und Erden, keramische Industrie sowie Luftfahrtindustrie, die Arbeitsgemeinschaft Holz, die Aluminiumzentrale und der Stahlwerksverband; RWZ Nr. 230 vom 9.5.1937:22
2. RWZ Nr. 230 vom 9.5.1937:22
3. Neue Zürcher Zeitung vom 21.5.1937
4. Geutebrück 1939:42
5. Im Vierjahresplan waren die deutschen Erze, das deutsche Holz, das deutsche Wasser und deutsche Steine und Erden als die vier Grundstoffe der deutschen Wirtschaft proklamiert worden. Diese Rohstoffe waren in vier großen Rohstofftürmen in einer der Hallen programmatisch präsentiert; Geutebrück 1939:54.
6. Geutebrück 1939:50
7. zit. in: Maiwald 1939:39f
8. Geutebrück 1939:52. Die Ausstattung der fabrikneuen Personen- und Frachtwaggons war im Gegensatz zu dem Beispielwaggon wenig konsequent aus althergebrachten Rohstoffen hergestellt, DT vom 19.5.1937
9. P. [Friedrich Paulsen] 1937:421
10. Flemmig 1937:186
11. Geutebrück 1939:47
12. Engst 1949:105
13. Geutebrück 1939:53
14. Schulenburg 1937
15. Geutebrück 1939:47
16. Geutebrück 1939:48
17. Tolischus in New York Times vom 9.5.1937
18. Sonderbeilage DT vom 9.5.1937
19. Neue Zürcher Zeitung vom 21.5.1937
20. Maiwald 1939, Bd. 1:34
21. Geutebrück 1939:55
22. Stahl und Eisen 18.1937:473
23. Geutebrück 1939:57
24. Geutebrück 1939:55
25. Aus dem Vorwort des Gauleiters Florian im Rechenschaftsbericht der Ausstellung, Maiwald 1939, o.S.
26. DBZ 1937 (a):325
27. HuG-19. o.S.
28. DN vom 21.5.1937
29. M.R. 1937 vom 21.5.1937
30. Walther 1939:77
31. Walther 1939:76
32. Walther 1939:77
33. So wurden für eine der 10 qm großen Karten 25.000 Figuren in fünf Sorten und vier Farben, für eine andere 10.000 zusammengesetzte Figuren aus 40.000 Einzelteilen in zwölf Farben benötigt. Für eine dritte Karte musste ein Kilometer Draht und Gummireifen in zentimeterlangen Stücken aufgeklebt werden. Eine vierte Karte bestand aus 1.000 maßstabsgerechten, ausgeschnittenen Stadtgrundrissen, eine weitere Karte wurde mit 800 Kilogramm Steinen und Erden bestückt, deren Auffinden 7 000 Fahrkilometer erfordert hatte, Walther 1939:77
34. Walther 1939:73
35. Geutebrück 1939:60
36. Bilder mit aus Pappelreihen und Alleen künstlich geschaffenen Windschutzanlagen, die üppige Flora zeigten wurden kontrastiert durch Fotografien von baum- und strauchlosen Küstenlandschaften, Walther:67. Diese Bilder sollten den Besucher von der genialen Idee überzeugen, dass das gesamte deutsche Reich in einen einzigen, riesigen fruchtbaren Boden verwandelt werden könne.
37. Walther 1939:67
38. Walther 1939:65
39. Walther 1939:69
40. Walther 1939:70
41. Weingarten 1937 (c), o.S.
42. Weingarten 1937 (c), o.S.
43. RWZ vom 9.5.1937, Nr. 230:27
44. Walther 1939:70
45. Walther 1939:71
46. Walther 1939:73
47. Vgl. offiziellen Prospekt der Ausstellung
48. Peltz-Dreckmann 1978:305
49. Neue Zürcher Zeitung vom 21.5.1937
50. HuG-19, o.S.
51. StAD iv 1897, Brief von Stadtrat Meyer an OB vom 8.7.1937
52. RLZ vom 26.5.1937
53. StAD iv 1897, Brief von Stadtrat Meyer an OB vom 8.7.1937
54. Vgl. Heyne 1986. Diese Planungen waren durch Schilderungen des ehemaligen Stadtbaurates Riemann bereits bekannt, doch hatte man bis zu dem Fund der Zeichnungen keine Unterlagen, die eine genaue Vorstellung dieser Projekte vermittelten.(vgl. 9.4.4Stadtplanung im NS)
55. HuG-19, o.S.
56. Peltz-Dreckmann 1978:127
57. Flemmig 1937:186
58. Miller-Lane 1986:195
59. Peltz-Dreckmann 1978:324
60. Miller-Lane 1986:195
61. Peltz-Dreckmann 1978:305
62. Durth 1992:121
63. Hitler zit. in Miller-Lane 1986:181
64. Vgl. hierzu u.a. Durth 1992:164-199; Durth/Nerdinger 1994; Wie sehr die umfangreichen Umgestaltungsplanungen sich auch in kleineren Städten auswirkten und keinesfalls auf Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg beschränkt blieben zeigt auch das Wuppertaler Beispiel, vgl. Claudia Steckelings, Stadtplanung 1938, Polis II. 4.1991:10-15; Baukunst und Stadtplanung im 3. Reich, Petsch 1976
65. Walther 1939:70
66. Walther 1939:65
67. Fritsch hatte bereits 1896 sein Werk ‚Stadt der Zukunft‘ veröffentlicht, das den Entwurf Howards in wesentlichen Teilen vorwegnahm, vgl. Theodor Fritsch: Die Stadt der Zukunft“, Leipzig 1896 sowie die zweite, veränderte Auflage von 1912.
68. Peltz-Dreckmann 1978:45
69. Peltz-Dreckmann 1978:45 70. Peltz-Dreckmann 1978:47