1902: Industrie- und Gewerbe-Ausstellung für Rheinland, Westfalen und benachbarte Bezirke verbunden mit einer Deutsch-Nationalen Kunstausstellung

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Einfluss des Vereins so gewachsen, dass die ihn umgebende Künstlerschaft, u.a. der Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie Fritz Roeber, der Maler Georg Oeder und der Kunsthistoriker Paul Clemen ihrem Wunsch nach einer erneuten großen Kunst- und Gewerbeausstellung soviel Nachdruck verleihen konnten, dass Heinrich Lueg die Anregung sofort aufnahm. Die Düsseldorfer Künstlerschaft hatte freilich ein besonderes Ziel: Sie erhoffte sich durch die Ausstellung endlich ein festes Kunstausstellungsgebäude, das zum Zentrum der rheinischen und westfälischen Kunst werden sollte. Lueg übernahm wiederum den Vorsitz des Ausstellungskommitees und brachte die Planungen bereits 1898 in Gang. Nach Verhandlungen mit den einflussreichsten Industriellen und Absprachen mit Düsseldorfer Künstlern war der Weg für eine „anziehende und groß wirkende Kundgebung“ der rheinisch-westfälischen Wirtschaft frei. Düsseldorf als heimliche Hauptstadt dieser Region würde erneut eine Ausstellung organisieren, die die Entwicklungen der letzten 20 Jahre eindrucksvoll vorführen sollte.

A06 Ausstellung 1902 Q Privatbesitz
A06 Ausstellung 1902 Q Privatbesitz

Angesichts der ungeheuren Entwicklungen auf allen technischen Gebieten und der regen Interessensbekundungen der Industrie an der Ausstellung teilzunehmen, erkannte Lueg das vorhandene Gelände im Zoologischen Garten als zu klein und nahm die Idee Fritz Roebers auf, die Golzheimer Insel im Norden der Stadt als Ausstellungsgelände zu nutzen. 1 Er überredete die Stadt zu einer kostspieligen Aufschüttung dieser sandigen Landzunge des Rheins und erreichte, dass sie unter großen finanziellen Aufwendungen zu einem 37 ha großen Areal ausgebaut wurde. 2 Aber nicht nur das Gelände war von ausschlaggebender Wichtigkeit für den Erfolg der Ausstellung, sondern auch die finanzielle Absicherung. Die Düsseldorfer Bürgerschaft wurde daher am 12. Januar 1900 aufgerufen, Garantiefonds zu zeichnen, was in hohem Ausmaße geschah. Die erforderlichen 2 Millionen Mark waren binnen zwei Wochen beschafft, am 4. Februar 1900 konnte die Presse sogar melden, dass bereits Zeichnungen im Werte von 3 Millionen Mark eingegangen waren! 3

Die Organisation der Ausstellung erfolgte durch in allen größeren Städten Rheinlands und Westfalens entstandenen Lokalkommitees. Nach dem Beispiel der Ausstellung von 1880 waren auch hier die einzelnen Arbeitsgruppen unter der Federführung eines 12köpfigen Arbeitsausschusses tätig. Zur Erlangung von Plänen für den Bau der Ausstellungshallen und den Kunstpalast hatte das Ausstellungskommitee unter der Leitung von Heinrich Lueg Wettbewerbe ausgeschrieben. Der erste Preis für die Hallen der Industrie ging 1899 an den Hamburger Architekten Georg Thielen, „dessen Entwurf genial durchdacht war, sowohl in bezug auf die Verteilung der Einzelbauten als auch hinsichtlich des Gesamteindrucks.“ 4 Dieses Lob muss umso höher bewertet werden, als die langgestreckte Form des Geländes sich besonders problematisch darstellte. Das Verhältnis von Breite zu Länge betrug immerhin 1:6,5 und erforderte daher bestimmte architektonische Leistungen, um auch dem künstlerischen Anspruch voll gerecht werden zu können.

Die Bauarbeiten begannen bereits am 3. April 1900, also knapp zwei Jahre vor der geplanten Eröffnung, u.a. mit der Anlage der Hauptallee, die beidseitig von einer doppelten Baumreihe flankiert wurde. Die Bauleitung hatten anstelle des zwischenzeitlich verstorbenen Architekten Thielen die beiden Düsseldorfer Architekten Adolf Schill und Josef Kleesattel übernommen. In nur geringfügigen Abweichungen wurden unter deren Leitung alle Pläne Thielens ausgeführt. Die gigantischen Ausmaße der Ausstellung werden durch folgende Zahlen belegt: Von den insgesamt 53 ha Ausstellungsfläche wurden 13 ha von Hallen und Pavillons eingenommen, die meisten von ihnen bestanden aus mit Drahtputz verkleidetem Holz-Fachwerk und waren mit Dachpappe oder Leinwand gedeckt, 5 von Juli 1900 bis April 1902 wurden 5.753 Waggons mit Baustoffen auf das Gelände transportiert, 160 Ausstellungsgebäude, offizielle Hallen und Pavillons in einem Gesamtwert von 20 Mio. Mark errichtet, sowie der lang ersehnte Kunstpalast. Auch sonst zeugte die Ausstellungsarchitektur nicht von Bescheidenheit. Der Bau der Firma Krupp auf der Straße der großen Pavillons belegte eine Fläche von 4.280 qm und fiel besonders durch seinen 54 m hohen Schiffsgefechtsmast auf. Der Bau der Vereinigten Bergwerksindustrie umfasste eine Fläche von 6.400 qm und wurde gekrönt durch eine 45 m hohe Kuppel. Unter einer 65 m hohen Kuppel befand sich die Hauptindustriehalle, die aus zwei 170 m langen, 16 m breiten und 20 m hohen Längsschiffen, mit einem 7 m tiefen Vorbau bestand und 26.000 qm umbaute Fläche bot. 6 Dagegen musste die aus geputztem Fachwerk bestehende Festhalle mit 1.242 qm Grundfläche sehr klein erscheinen. Erstmals verfolgte man in Düsseldorf das bereits 1876 in Philadelphia realisierte Pavillonsystem, das einzelnen Produkten, Firmen oder Sachgebieten an Stelle eines einheitlichen Großbaus oder Hallenverbandes jeweils einen eigenen Bau zuwies. 7 Bei der äußeren Gestaltung strebte man – zumindest für die Haupthalle – einen repräsentativen Stil an, „eine malerische Vielfalt, deren Stilformen sich irgendwie an deutsche Spätrenaissance und Barock anschließen, jedoch den Reiz des Ungefähren und Assoziativen besitzen“ sollte, 8 selbst moderne Eisenkonstruktionen wurden hinter ornamentalen Hüllen versteckt. Erste Ansätze zu einer klareren Formensprache wurden allerdings bei der größten privaten Halle der Ausstellung erreicht: Der Karlsruher Architekt Karl Hoffacker wurde von der Firma Krupp beauftragt, eine Halle zu schaffen, ohne die „bei Ausstellungen meist angewandten reklamehaften Formensprache“ und stattdessen „durch eine ruhige, vornehme und wuchtige Komposition das Äußere in Einklang zu bringen mit dem Wesen der Ausstellung, die es zu bergen bestimmt war“ 9 . Das Resultat war eine schiffsähnlich geformte Halle mit „wie Panzertürme gestalteten Kuppeln der Kanonenburg“ und einem „54 Meter hohen Gefechtsmast“. 10 Besser gelang es offensichtlich der Gutehoffnungshütte das Ideal einer Synthese zwischen der inneren Funktion und der äußeren Erscheinung zu erreichen. Friedrich Naumann bescheinigte dem Architekten eine konsequent durchdachte Eisenkonstruktion, die sich nicht an das Vorbild anderer Bauten anlehnte und den Geist einer „über die Periode Wilhelms II hinausweisenden stilreineren Zukunft“ 11 ausstrahlte.

A05 Das arabische Dorf auf der Ausstellung 1902 Q Industrie- und Gewerbeausstellung 1902 o.S
A05 Das arabische Dorf auf der Ausstellung 1902 Q Industrie- und Gewerbeausstellung 1902 o.S

Trotz des frühen Baubeginns konnten bis zum Ausstellungsbeginn nicht alle Privatbauten rechtzeitig fertiggestellt werden. Selbst einige der großen Firmen mussten ermahnt werden. Dieses Missgeschick tat dem unglaublichen Erfolg der Düsseldorfer Ausstellung allerdings keinen Abbruch. Zwischen der Ausstellungseröffnung am 1. Mai 1902 und der Schließung am 20. Oktober des gleichen Jahres haben über 5 Mio. Menschen die ‚Industrie- und Gewerbe-Ausstellung für Rheinland, Westfalen und benachbarte Bezirke, verbunden mit einer Deutsch-Nationalen Kunst-Ausstellung‘ besucht, 2.000 ausstellende Firmen mit ihren Erzeugnissen gesehen, in 12 Bier- und, 6 Weinrestaurants und diversen Likör- und Sektausschankstellen 28.283 Liter Bier, 157.061 Flaschen Wein, 45.161 Flaschen Sekt und 14.128 Liter Spirituosen konsumiert. Sie waren mit über 6.000 Sonderzügen angereist, die meist direkt zum Ausstellungsbahnhof auf dem Gelände führten und hatten neben den Schaustücken der ausnahmslos rheinischen und westfälischen Industrie ein arabisches Dorf, ein Wasserbecken mit Wasserfällen, geschmückt mit einer riesigen Zentaurengruppe, bewundert, den kirchenähnlichen Bau samt 70 m hohen Glockenturm des Bochumer Vereins angesehen und die Kairo-Straße mit dem nubischen und dem arabischen Dorf beschritten, die nachgebaute Ruine der Burg Rüdesheim und eine Nachbildung des Sulden- und des Zillertals bewundert. Durch die hohe Konzentration an jugendstilistischen Verzierungen und die unüberschaubare Menge an exotischen und weniger exotischen Gebäuden muss das Ausstellungsgelände auf den Besucher wie eine fremde Welt gewirkt haben. Engst bezeichnete diese Ausstellung als einen „Höhepunkt im Ausstellungsgeschehen des Erdballs, national und doch zugleich weltoffen …“ 12 und sicherlich war es nicht nur die „glänzendste Gewerbeausstellung, die Deutschland bis dahin gesehen hatte“ 13 , sondern vor allem die größte Leistung, die das Düsseldorfer Ausstellungswesen bis dahin vollbracht hatte. Somit ist der Rückhalt, den die Düsseldorfer Bevölkerung der Ausstellung von Anfang an gewährt hatte, trefflich belohnt worden. Die Stadt hatte zwar an Gauklern, Prostituierten und Taschendieben hinzugewonnen, aber der Gewinn von 1,60 Mio. Mark bei Gesamteinnahmen von 10,08 Mio. Mark konnte dennoch tröstlich stimmen 14 . Immerhin hatte sich Düsseldorf – zumindest für einige Monate – nicht nur zu einer kleinen Weltstadt entwickelt, sondern auch ihren Ruf als die Ausstellungsstadt Westdeutschlands gefestigt und nebenbei noch ihre Erschließung gen Norden erreicht. Die ehemalige kurfürstliche Residenz hatte sich im Kapitalismus zur Residenz der gesamten rheinisch-westfälischen Schwerindustrie entwickelt und profitierte durch ihre äußerst vorteilhafte Lage vor allem von dem benachbarten Industrie-Revier, welches zum ‚Einkaufszentrum‘ des europäischen Maschinen- und Werkzeugmarktes geworden war. 15 Stolz konnte Oberbürgermeister Wilhelm Marx mit den Worten „Die Ausstellung ist tot; es lebe die Ausstellung“ die Veranstaltung beschließen. 16

A11 Mittelbau des Hauptgebäudes der Industrie-, Gewerbe, Deutschnationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1902. Q privat
A11 Mittelbau des Hauptgebäudes der Industrie-, Gewerbe, Deutschnationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1902. Q privat

Der Erfolg der Ausstellung ist nicht zuletzt der ausgezeichneten Werbung zu verdanken. Bereits seit März 1900 war monatlich die Ausstellungszeitung erschienen und ein Jahr vor der Eröffnung hatte man mit der Plakatierung begonnen. Die ausgedehnten Kontakte zu in- und ausländischen Firmen trugen den Ruf der Ausstellung in die ganze Welt.

Der Düsseldorfer Künstlerschaft hat die Ausstellung zudem den lang gehegten Wunsch erfüllt, endlich ein eigenes Ausstellungsgebäude zur Verfügung zu haben, mit welchem sie die Schaffenskraft der heimischen Maler, Grafiker und Bildhauer ständig präsentieren konnten. Statt der veranschlagten Kosten von 600.000 M hatte das nach den Plänen der Architekten Bender, Rückgauer und Krafft erbaute „ Barockschloß“ 17 1,3 Millionen Mark verschlungen. 18 Die Erscheinung dieses Gebäudes war vom italienischen und süddeutschen Barock geprägt und hatte beeindruckende Ausmaße: Die umbaute Fläche betrug 7.400 qm bei einer Hauptfront von 130 m Länge. 19

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1. Neusen [1979?]:27
2. Hüttenberger 1989:59
3. Engst 1949:38
4. Engst 1949:41
5. Neusen [1979?]:30
6. Engst 1949:44
7. Schepers 1984:16
8. Koch 1982:158
9. Stoffers 1903, Bd. II:44
10. Koch 1982:162
11. Zit. in Schepers 1984:18
12. Engst 1949:43
13. Kieber 1922:46
14. Engst 1949:49
15. DLZ (c) vom 30.4.1937
16. Wilden 1937:112
17. Schepers 1984:19
18. Gabriel 1904:202
19. Engst 1949:46

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